„Ein Jahr geht den Bach hinunter“
Performance zur Jahreswende, 1993/94
In Karlsfeld, unmittelbar an der nördlichen Stadtgrenze zu München, befindet sich eine Brücke über einen Fluss, die gleichzeitig als Fußgängerunterführung ausgebaut ist. Diese unterquert eine dicht befahrene vierspurige Ausfallstraße. Verkehrszählungen mit täglich über 60 000 Fahrzeugen machen deutlich, dass es manchmal nicht ganz einfach ist, die Straße als Fußgänger oder Radfahrer zu kreuzen. Aus diesem Grund wurde eine Fußgängerunterführung parallel zum Fluss angelegt.
Auf der Straße fällt einem die Brücke als solche lediglich durch das Geländer auf, das Straßenniveau hebt sich nur unmerklich. Dadurch ergab sich für die Unterführung nur die Lösung, den Fußgängerweg in das Flussbett einzubetonieren. Man kommt zu dem seltenen Erlebnis, auf einer Länge von 30 Metern parallel zum Fluss zu gehen, der – nur durch eine 25 cm dicke Betonmauer getrennt – in Brusthöhe vorbeifließt.
Die Unterführung selbst ist äußerst einfach und ohne Beleuchtung, in Breite und Höhe sehr eng ausgestaltet. Alles in allem ein sehr liebloser Ort, der dem Autoverkehr buchstäblich untergeordnet wurde, kaum den Mindestanforderungen entspricht, architektonisch aber durchaus seine Reize hat.
Von einem nahe gelegenen Silvesterfest werden die Gäste (etwa 30 Personen) kurz vor Mitternacht in die Fußgängerunterführung gebracht. Bedingt durch den schmalen Durchgang bildet sich eine lange Schlange durch die gesamte Unterführung. Nur die Betonbrüstung trennt die Besucher vor dem vorbeifließenden Wasser des Flusses, der hier in Brusthöhe parallel durch die Unterführung fließt. Die Brüstung ist an der Oberseite über die gesamte Länge verspiegelt, darauf wird der Raum von hundert Kerzen beleuchtet. Über die Wasserfläche sind Aluminiumfolien gespannt, die das Licht reflektieren.
Punkt Mitternacht beginnen zwei an beiden Enden der Unterführung postierte große Wecker zu klingeln. An beiden Ausgängen der Unterführung stehen Mitarbeiter, die mit Hupen Entengequake nachahmen. Die tunnelartige Akustik verstärkt den Nachhall und die Lautstärke. Vom linken Ende schlägt ein Mitarbeiter einen Trommelwirbel. Ein in der Mitte stehender Mitarbeiter beginnt auf einer Klarinette zu spielen. Vorbereitete Schlag- und Schüttelinstrumente werden von Mitarbeitern an den beiden Enden benutzt und dann ins Publikum weitergereicht. Die Gäste beginnen mitzuspielen. Es wird laut. Einige Passanten, die zufällig vorbeikommen, gesellen sich in der Unterführung dazu und machen mit. Etwas weiter flussaufwärts setzen zwei Mitarbeiter tablettweise nach und nach hundert brennende Papierschiffchen in den Fluss, die dann an den Gästen vorbei durch die Unterführung treiben.