Plastik in der Außenanlage des Behördenzentrums in Suhl, 2000
Kunst+Bau-Wettbewerb, engere Wahl, jedoch nicht realisiert
Ein imaginäres Szenario:
Die Mitarbeiterin sitzt in einer Behörde am Schreibtisch, vor sich ein Blatt Papier. Der Inhalt des Blattes hat sich erledigt, ist nicht mehr aktuell.
Die Mitarbeiterin knüllt das Papier zusammen und wirft das Knäuel in hohem Bogen in den Papierkorb, der in der Nähe eines offenen Fensters steht. Statt in den Papierkorb fliegt das Papierknäuel durch das geöffnete Fenster und landet in der Grünanlage. Das Knäuel, mittlerweile aus Aluminium bestehend, ist dabei wesentlich größer geworden, etwa zweieinhalb Meter hoch. Dort steht es jetzt als Skulptur, als ironischer Verweis auf die Bürowelt.
Ein Blatt Papier kann schwer wiegen, etwa ein vom Finanzamt kommender Brief mit dem Bescheid über eine hohe Steuernachzahlung. Umgekehrt kann ein Blatt Papier aber auch erleichtern, wie etwa der ersehnte Zuschlag über das Sorgerecht des Kindes in einem Scheidungsverfahren.
Ein Blatt Papier wird leicht und beginnt sogar zu fliegen, wenn es als mißlungener Brief oder Entwurf zusammengeknüllt wird und in hohem Bogen im Papierkorb landet, gleichsam als Akt der Befreiung. Ebenso verhält es sich mit dem von der Windschutzscheibe genommenen im Affekt zerknüllten und weggeworfenen Strafzettel (auch wenn in diesem Fall das Papier den „längeren Atem“ hat).
Immer jedoch hat es etwas Befreiendes, Entlastendes, im Sinne von verwerfen, loslassen, etwas aufgeben, von vorne anfangen. Dabei ist das simple Zusammenknüllen ein zwar spontaner, jedoch zugleich komplexer feinmotorischer und auch kreativer Vorgang. Da wird mit den Händen geknüllt, gestaucht,
gebogen und gefaltet, ganz dem Material entsprechend. Kein Papierknäuel ist gleich und ein jedes spiegelt den momentanen Zustand des Herstellers wieder.
Das Werfen, je nach Distanz zum Papierkorb, hat ein gewisses sportives Element, ähnlich wie im Basketball. (Jeder der einen Papierkorb in 2m Entfernung zu seinem Schreibtisch stehen hat, weiß was ich meine).
Papier A4
Noch immer (trotz des Versprechens des papierlosen, digitalen Büros) definiert sich die offizielle Kommunikation von Firmen und Behörden über das materialisierte Papier, speziell über das Standardformat A4. Das Papier ist, allen audiovisuellen technischen Errungenschaften zum Trotz, ähnlich wie das oft totgesagte Buch, immer noch ein wichtiges Mitteilungsmedium. Das Blatt oder der Brief kann abgelegt und später an einem anderen Ort zu jeder Zeit gelesen werden. Es ist keine externe Technik, wie Computer, Bildschirm und Strom nötig. Papier kann in der Hand gehalten und haptisch gefühlt werden. Es ist Information und Dokumentation und zugleich der materialisierte atomare Beweis.
Aus dem Kontext herausgelöst − abstrahiert in Struktur und Faltung
Überdimensional vergrößert und in die Außenanlage platziert, erfährt das banale Papierknäuel eine Wandlung, in dem die Plastik aus dem ursprünglichen Kontext herausgelöst wird, hin zur Abstraktion des Materials. Die ursprüngliche Bedeutung des Papierknäuels wird, je näher man ihm kommt, mehr und mehr aufgehoben, die reine, gefaltete Struktur, auf der das Licht spielt, wird dominanter. Aus einem Abfallprodukt wird Form.